Vancouver

17. Februar 2010
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Mittwoch, 17. Februar 2010

Wir werden von Vogelgezwitscher wach: Es ist Frühling. Zum Brötchenkaufen gehe ich kurzärmelig, die Jogger sind wie immer in kurzen Hosen unterwegs. Im Briefkasten liegen zwei Postkarten aus Deutschland: Da liegt ja Schnee! Wir reiben uns die Augen und stellen uns Winter vor. Dann ruft meine Freundin beim „Snowbus“ an und kauft entschlossen zwei Tickets für Whistler. Wir fahren da jetzt mal hin. Wenn die Gerüchte stimmen, kann man sich an die Seitenränder der Piste stellen und zugucken. Wenn man die richtige Abfahrt dahin erwischt …

Dienstag, 16. Februar 2010

Kanada hat 8 zu 0 im Eishockey gewonnen. Gegen Norwegen. Der Jubel ist verhalten – es wäre eine Enttäuschung gewesen, hätten sie verloren. Außerdem sehen wir die Snowboarder im Fernsehen – life sehen die ja nicht mehr viele Zuschauer: Die Stehplätze für die Zuschauer wurden gesperrt. Da ja schon lange kein Schnee mehr liegt, wurde Stroh aufgeschüttet, und mit irgendwas „Weißem“ (was vermutlich im Fernsehen hübsch nach Schnee aussah) überdeckt. Das Stroh bricht jetzt zusammen. Ha! Die Snowboarder stürzen einer nach dem anderen – der Kunstschnee alles andere als pludrig-pulvrig. Einer der Jungs vergleicht es mit „Da könnte man auch durch Kartoffelbrei rutschen.“ Hört sich nicht unbedingt nach Spaß an. Wenigstens sind die blauen Striche auf der Piste schön erkennbar. Die malt Zoltan, oder einer seiner Jungs. Zoltan ist eigentlich Regisseur (wir haben ihn auf einer Film-Party) kennengelernt und er gehört zu den 25.000 Freiwilligen, die aus Begeisterung die Spiele unterstützen. Oder aus Pragmatismus. Schließlich sieht er alle Rennen und hat einen Skipass für die Saison … und es gibt wirklich blödere Jobs, als blaue Striche auf eine Skipiste zu malen, wie er uns lachend erklärt.
Danach sehen wir Eiskunstlauf / Männer. Ich bin wütend – in der Halle gibt es noch viele freie Plätze. Ist Vanoc nicht einmal in der Lage, die Tickets unters Volk zu bringen? Wenn Sie für „Ehrengäste“ reserviert sind, sollten die wenigstens hingehen oder sie weiterverschenken. Meine Freunde lachen nur, über Vanoc regt sich hier niemand mehr auf – dass sich organisatorisches Missgeschick um Missgeschick reiht, verwundert nicht mehr. Wir kommen gerade von einem richtig guten Live-Konzert, bei dem wir aber leider fast die einzigen Zuschauer waren. Die Bühne ist nur mit viel Ehrgeiz zu erreichen – sie liegt auf dem eigentlich großen Place of Nations (Platz der Nationen) hinter dem BC-Place (das Stadium, in dem zeitgleich die Eishockey-Spiele laufen), das großräumig umzäunt und abgesperrt ist. Außerdem feiern die Asiaten mit vielen Buden und Ständen auf dem Platz Chinesisch Neujahr. Durch die muss man sich auch erst einmal durchwühlen, bis man dann zur Live-Musik kommt. Jedenfalls sind wir da und jubeln für „unseren Sänger“, einen guten Freund, – und das ist mehr, als die anderen Bands vorzuweisen haben, die dort im Stundenrhythmus spielen. Danach gehen wir alle ins Casino nebenan, natürlich nicht um zu spielen, sondern weil das Bier 2 Dollar und die Hotdogs nur 1 Dollar kosten. So lockt man Gäste an. Im „Speisesaal“, der aussieht und riecht wie ein Kino, läuft auf großen Leinwänden die Live-Übertragung der Eiskunstläufer (Meine Güte, fallen die Jungs oft hin!), ein paar Indianer tauschen Anstecknadeln und der Rest sitzt in Reihen in Kinosesseln und trinkt Bier. So wie wir. Irgendwann finden wir Bier in Plastikbechern trotz des Preises doof und ziehen in eine richtige Kneipe um. Sie ist belebt, aber nicht übervoll. Der Wirt erklärt uns, dass die Olympics ziemlich schlecht fürs Geschäft sind: Die Stammgäste bleiben zuhause und die anderen finden keinen Parkplatz: Konnte man sonst auf den Seitenstreifen der großen Straßen parken, ist das nun strikt verboten: Das sind alles Olympic-Spuren. Der Verkehr soll rollen! Ich kann versichern, das tut er: Ich habe noch keinen einzigen Stau gesehen, man wartet nie auf ein Taxi und alle Taxifahrer beteuern enttäuscht, dass sie bei weitem nicht ausgebucht sind … naja, vielleicht kommt er ja noch, der große Olympiaboom.


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16. Februar 2010
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Montag, 15. Februar 2010
Ich chatte mit einem Bekannten aus Deutschland. Er schaut zeitgleich die Originalübertragung der Wettkämpfe der Snowboarder im deutschen Fernsehen an. Ich überlege einen kurzen Moment, ihm zu erzählen, dass allein dafür, dass der KUNSTSCHNEE im Fernsehen so schön echt aussieht, eine Menge Geld ausgegeben wurde: Man hat ihn für unglaubliche 10 Mio Dollar BLAU färben lassen. Und wie viel hat der Transport bzw. die Erzeugung gekostet? Der Berg Cypress ist seit Mitte Januar wegen Schneemangels gesperrt – der Regen hat vor Wochen schon alles weggewaschen, jetzt sind locker 7 Grad plus und die Osterglocken blühen. Er will, glaub ich, davon nichts hören, sondern guckt nur auf die Loopings der Jungs. Der Chat wird recht schweigsam für eine Weile.
Währenddessen laufen vor dem Fenster der Bibliothek wieder Demonstranten vorbei. Eine weitere Anti-Olympics-Demonstration.
Aber davon wird im Fernsehen sicher nichts berichtet werden …

Sonntag, 14. Februar 2010

Wir sitzen am Strand – im T-Shirt. Es ist warm genug. Die Kinder spielen am Wasser, die Möwen schreien. Wintersport? In dieser Stadt? Ich ziehe meine Schuhe aus.

Wir überlegen trotzdem, nach Whistler zu fahren. Unsere kanadischen Freunde zucken ängstlich zusammen. Die Straßen sind gesperrt! Whistler ist gesperrt! Nirgendwo ein Durchkommen! Die „Panikmache“ von Vanoc hat also gewirkt – alle bleiben zu Hause. Doch es stimmt nicht – ich telefoniere mit Vanoc. Die freundliche Frau erklärt mir geduldig, dass die Straßen nur stundenweise gesperrt bzw. mit Permit (Erlaubnis) passierbar sind, und der ganze Berg Whistler ist offen – also, natürlich bis auf die Pisten, auf denen gerade die Wettkämpfe stattfinden. Und da ja alle Welt dahinguckt, dürften die andern schön leer sein. Ich wachse meine Ski – allein, es sind 6 Grad plus in Whistler und die gestrigen Wettkämpfe sind wegen Regen ausgefallen. Sollen wir da wirklich hinfahren?

Samstag, 13. Februar

Ich wache auf, weil über der Stadt Kampfhubschrauber kreisen. Dazu immer wieder, wie auch in den letzten Tagen, Kampfflugzeuge.
Zu wissen, dass für die Sicherheitsvorkehrungen während der Olympischen Spiele über 100 Mio Dollar ausgegeben werden, verdirbt mir die Laune. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Kulturfonds für die nächsten Jahre um 90 % gekürzt werden, Schulgelder etc. ebenfalls gestrichen. Für diese Spiele wird das Land bitter bezahlen.

Im Fernsehen wird über die ersten Ausschreitungen berichtet. Ich erkenne die Reggaemusiker von der Granvillestreet wieder (und gucke neugierig, ob ich auch auf den Fernsehbildern zu sehen bin). Offensichtlich gehörten sie doch zu den Protestanten. (Hey Jungs, schaut euch mal Kreuzberger Randale an!). Außerdem scheinen ein paar Scheiben bei einem der großen Souvenirläden (Hudson Bay, eine große Kaufhauskette) eingeschlagen worden zu sein. Dafür all die Aufregung?

Mein buddhistischer Freund erzählt mir, dass er zwar auch gegen die Spiele ist und die Protestierenden verstehen kann, aber man darf keinen Groll im Herzen hegen. Man soll gütig und nachsichtig sein … sagt Buddha.
Ich versuche, zu verstehen.

Freitag, 12. Februar 2010

Ich wage es und gehe „downtown“ – Heute sind zwar die Eröffnungsveranstaltungen der Olympischen Spiele, aber es läuft auch eine Leonardo da Vinci Ausstellung. Die anatomischen Zeichnungen. Ich bin mit zwei Schriftstellern verabredet – und warte 40 Minuten auf sie. Und zwar neben einer langen, langen Eintrittsschlange. Wo kommen die ganzen Leute her – und wo wollen sie hin? Als ich durchgefroren bin, gebe ich auf und gehe in die Eingangshalle, um mich aufzuwärmen. Dort plaudere ich mit einer der Damen vom Souvenirshop. Sie erzählt mir, dass die Preise für die Eintrittskarten bei 4000,00 Dollar liegen (pro Stück) und man in Whistler 6.000,00 pro Nacht bezahlen kann. Also, ihr Bekannter verlangt so viel für seine Hütte. Wir lachen, wundern uns über die vielen Touristen, die bereits angereist sind, und überlegen, ob die kanadische Eishockey-Mannschaft wohl gewinnen (wir hoffen es beide). In dem Moment tauchen meine beiden Freunde auf – sie haben auf der anderen Seite des Museums auf mich gewartet. Eine gute Stunde später als geplant besuchen wir nun hungrig und schlechtlaunig die Ausstellung (die leider auch etwas enttäuschend ist) und gehen anschließend Kaffee trinken. Es ist kein Problem, irgendwo einen Platz zu finden, überfüllt ist hier nichts. Dafür sind viele Straßen abgesperrt und Unmengen an Sicherheitsleuten laufen umher. Wir beschließen, uns unters „Volk“ zu mischen und wollen ins „Auge des Sturmes“ pilgern. Moment, welcher Sturm? Wir sehen die Bildschirme des kanadischen Fernsehens – sie zeigen Straßen voller Menschen. Es ist am Robson Square, da stehen wir auch. Hier tobt also die Menge. Gut. Wir schlendern weiter. Nach 500 m dünnt sich die Menge aus, von jubelnder Meute nichts mehr zu spüren. Wir versuchen es noch nördlich, südlich und westlich vom Robson Square, dann haben wir alle Richtungen durch. Klar, es sind viel mehr Menschen als sonst auf den hier ja eher leeren Straßen und man hat endlich einmal das Gefühl, durch eine belebte Stadt wie, sagen wir mal München oder Berlin an einem normalen Donnerstag Nachmittag zu laufen, mit richtiger Kameraeinstellung sieht es definitiv anders aus. Wir sehen die Kameras, wir sehen das Fernsehteam – und wie alle winken auch wir brav lächelnd. Dann bekommen wir jeder eine Tasche bzw. eine Mütze geschenkt.
Daneben stehen die Anti-Olympics-Demonstranten. Sie sehen aus wie Studenten – und sie würden in jeder anderen Stadt nicht sonderlich auffallen. Hier wird großräumig um sie herum abgesperrt. Wir laufen eine Weile mit dem Zug mit, dann entscheiden wir uns für eine andere Route. Auf der Granville Street sehen wir wieder eine Handvoll „Künstler“, sie tragen bunte Klamotten, Rastezöpfe, Batiktücher – defintiv nichts mit Kanada-Emblem wie die üblichen Touristen. Sie machen Musik und wir bleiben stehen: Sind das etwa auch Protestler? Sie spielen Reggae und wir wippen mit.

Als ich nach Hause komme erwartet mich meine Freundin mit drei Tickets zum Ballett. Normalpreis je 40 Dollar, sie hat sie von einem der Wachmänner geschenkt bekommen. Offensichtlich hat man Angst, dass die Veranstaltung leer bleibt. Das wäre peinlich, schließlich kommt ja sogar die kanadische Premierministerin (General Governor) zur Vorstellung. Also rufen wir schnell eine Freundin an (für die 3. Karte) und eilen zur Veranstaltung. Doch, Mist – vor uns wird erst einmal die Olympische Fackel über die Straße getragen. Das Olympische Feuer, dessen Entzündung wir am 30. Oktober in Victoria gesehen habe, ist nun auch vor unserem Haus. Schön! Blöd nur, dass nun kein Bus fährt. Wir fluchen, und laufen zur anderen Bushaltestelle. Geduldiges Warten ist nicht meine Stärke, also frage ich die anderen Wartenden. Eine Frau sagt, dass sie schon über eine Stunde hier steht, aber an einem Taxi ist sie nicht interessiert. Wir fragen einen Mann. Wir überreden ihn, ein Taxi zu rufen, aber es scheint aussichtslos, eins zu kriegen. Also laufen wir los. Es regnet, mir ist kalt und wir sind spät dran. Plötzlich hält ein Taxi neben uns – es sind unsere „Freunde“ von der Bushaltestelle und sie nehmen uns mit. Sie bringen uns zum Skytrain (eine Art U-Bahn) und natürlich zahlt der Mann, wir geben ihm unsere Visitenkarte und laden ihn zum Kaffee ein. Zum Ballett kommen wir zwar zu spät, aber noch hat die Veranstaltung nicht angefangen – also, pünktlich genug.

Wie wir später erfahren, sind die Häuptlinge zur Eröffnungsveranstaltung auch „nach indianischer Zeit“ gekommen. Irgendwann standen sie dann auch mit auf der Bühne. Ist das eigentlich jemandem aufgefallen?

Der erste Sportler ist tot.
Geredet wird nicht darüber. Die Stadt feiert sich.

Donnerstag, 11. Februar 2010
Ich fahre mit dem Bus ins Stadtzentrum. Ich warte lange. Es scheinen mehrere auszufallen. Der erste Bus, der kommt, ist überfüllt und nimmt keine weiteren Passagiere mit. Der zweite Bus ist leer wie immer. Eine Frau fragt den Busfahrer, ob es während der „Olympics“ veränderte Fahrpläne geben wird. Er zuckt die Schultern. „Bleibt alles wie gehabt.“ Herzhaftes Gelächter im ganzen Bus.


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