Vancouver

| 5. Januar 2010

Montag, 04. 01. 2010
Wir machen einen Spaziergang am Strand vor dem Haus und laufen zum Marine-Museum. Dort staunen wir nicht schlecht: Mitten in Vancouver sitzt ein großer, stolzer Weißkopfseeadler auf dem Totempfahl der Ureinwohner.
Genauso ungerührt wie der Adler sind jedoch auch die Vancouverites: sie joggen ungerührt vorbei und wundern sich höchstens, warum wir andächtig nach oben schauen.

Donnerstag, 31. 12. 2009
Noch einmal Silvester (New Years Eve)
Während in Deutschland bereits die Korken knallen, ist bei uns noch zeitiger Nachmittag und ich sitze im Starbucks und schreibe Mails. Doch immer, wenn mich ein Anflug von „Jahresendzeitmelancholie“ anhaucht, spricht mich einer meiner Nachbarn an: Zunächst Georgio, der mir sofort versichert, wie aufregend er mich und Obama findet und der der Welt um uns herum immer wieder Passagen aus der Zeitung vorliest, dann Mack, der mir auf meine Bemerkung hin, dass ich gerne Frisbee spiele, sofort einen „boyfriend“ unterstellt und darüber traurig ist. Ich beschließe, dass nicht zu kommentieren und trinke einen zweiten Kaffee.
Am Abend gehen wir zu einer richtig guten Party, lernen viele neue englische Wörter und erfahren, dass Böllerei in Kanada nicht zur Silvestertradition gehört. Wir schauen aufs dunkle Meer und um uns herum bleibt alles ruhig. Einzig im Fernsehen werden Silvesterfeuerwerke übertragen – fast überall auf der Welt ist Mitternacht bereits vorbei, wir sind mit die letzten (naja, und auf Haiti kann man noch später feiern).
Außerdem lernen wir einen neuen Beruf kennen: Eine „Bärenbändigerin“. Die Dame ist locker über 50, wirkt eigentlich unscheinbar bis auf ihren silvesterhaft-exzentrischen Kopfputz (sie hat ihrem Papagei ein paar Federn ausgerupft) und man kann sie anrufen, wenn man einen Bären im Hinterhof hat. Sie kommt dann und beruhigt zuerst den Bären, dann die Menschen (oder andersherum) und lockt danach den Bären in den Wald zurück.

Mittwoch, 30.12. 2009
Silvester I (New Years Eve-Eve)
Während meine Freundin am Schreibtisch sitzt und arbeitet, gehe ich im Irish Pub zur Silvesterparty. Eine irische Lifeband spielt, der Countdown bis Mitternacht wird gezählt und pünktlich knallen die Sektkorken. Ich tanze mit zwei netten Mädels, ein paar andere neue Freunde sitzen am Tisch. Die Mädels sind Ende 20 und lustig betrunken, und irgendwie erinnert es mich an Studentenfeten. Doch sie sind beide verheiratet und haben jede drei Kinder. Ich versuche sie mir in ihrem Alltag als „Muttis“ vorzustellen. Klappt nicht, die Eine ist „instructor“ fürs sex toys.

Dienstag, der 29.12.2009
Party
Während ich mit einem buddhistischen Kranfahrer aus dem Vancouveraner Hafen über Meditationskloster in den Rocky Mountains plaudere, unterhält sich meine Freundin mit einem Ex-Armee-General. Er war als Kind (kurz nach dem Krieg) in Deutschland und wünscht sich von uns das Buch „Struwwelpeter“. Ich mische mich ein und meine, er könne es sich doch über Amazon bestellen, kein Problem. Das könnte er schon, aber er fände es schöner, wenn meine Freundin das für ihn täte. Sie geht darauf ein und fragt, was er als Gegenzug biete – hat er eine Jacht? Ein Pferd? Ein Haus? Er hat ein Waldhaus (können wir im Sommer für den Paddelurlaub haben) und selbstgeschossenes Rentierfleisch. Eine Handvoll Steaks, und das mit dem Buch geht klar.
Dazwischen kommen die Mädchen aufgeregt gackernd aus dem Schlafzimmer gerannt. Während sie dort letzte Geheimnisse austauschten, hat es laut gegen das Fenster geklopft – aber es war niemand zu sehen. Ganz klar, es war der Geist des Hauses! Für den Rest des Abends werden Geistergeschichten ausgetauscht, und wir sind wohl die Einzigen, die nicht daran glauben.

Sonntag, 27.12.2009

Beim Spaziergang entdecken wir drei weiße Tulpen, die mit einer roten Schleife an einer Bank festgebunden sind. Sie sind steif gefroren vom Frost. Aber was haben sie zu bedeuten?

Samstag, 26.12.

Kanadier feiern nur 2 Tage Weihnachten. Während man in Deutschland an den Feiertagen noch gemütliche Stille (oder so was ähnliches) genießt, tobt hier der Bär in den Geschäften: Es ist Boxing Day und alle Läden locken mit einer gigantischen Rabattschlacht. Wir entdecken ein neues Shopping-Revier: Main Street, zwischen 10th und 21th. Schöne Läden, nette Preise, und der schwule Verkäufer berät die Mädels mit ihren viel zu kleinen Cocktailkleidchen. Als wir um unsere Meinung gebeten werden, weise ich dezent auf die auffallend vorgebeugte Haltung hin – ich finde, in solchen Kleidchen sollte frau aufrecht stehen. Entsetzt weißt mich die eine darauf hin, dass dann ihre Brüste herauskullern würden. Das Kleid gefällt ihr aber trotzdem!
Ich versuche, mich vor weiteren Beratungskommentaren zu drücken und kaufe einfach nur eine Wollmütze.

Freitag, 25.12.

Es galt als Geheimtipp, dass die Kanadier sich am 1. Weihnachtstag mit prall gefüllten Socken, die vom Kamin hängen, bescheren und so mit dem Auswickeln der Geschenke beschäftigt sind, dass die Hausberge von Vancouver still und verlassen seien. Das mag vor Jahren so gewesen sein, in diesem Jahr tummeln sich Chinesen, Japaner, Koreaner, Inder und Deutsche auf den Bergen und die Pisten sind voller denn je.
Auch wir wagen uns zu einem Schneespaziergang in die weiten Wälder und wie immer sind meine Freundin und ich mit einem Rucksack voller Proviant ausgestattet, auch wenn wir inzwischen die Imbissbuden auf der Route kennen. Unsere kanadischen Begleiter haben nichts dabei. Also erzähle ich von unseren Vorräten – Käsebrote, Äpfel, Schokolade. Einmal. Zweimal. Als ich zum dritten Mal aushole, interveniert meine Freundin und drückt unserem kanadischen Freund einfach ein Käsebrot in die Hand. Er ist blass und läuft den Berg ohne Frühstück hinauf. Am Abend bezeichnet er unser Gespräch als „silent suffering“ (stilles Leiden). Ich vermeinte, meine ausgeschmückte Schilderung unserer Köstlichkeiten wäre ein klares Angebot an ihn, tapfer zu zugreifen. Er meint, Kanadier wären höflich – sie greifen nur dann zu, wenn man es ihnen ausdrücklich anbietet. Wir haben beide etwas gelernt.

Donnerstag, 24.12.
Weihnachten
Während man in Deutschland schon unter dem Weihnachtsbaum sitzt und Geschenke auswickelt, machen wir einen sonnigen Spaziergang am Strand. Auf dem Rückweg sammeln wir ein paar Tannenzweige und gehen noch kräftig einkaufen. Von Weihnachtstress ist nichts zu spüren.
Am Abend gibt es eine Party der „Weihnachtswaisen“ – Ausländer ohne Familienanschluss wie wir treffen sich zum gemütlichen Essen. Es gibt gebratene Süßkartoffeln, mit Lachs gefüllte Pilze, Kürbissuppe, Pizzabrot, Feldsalat und kanadischen Rostbraten.
Meine Kürbissuppe wird am meisten von einem jüdischen Ehepaar gelobt, die längere Zeit in einem indischen Meditationszentrum lebten. Der Mann hat 1949 Deutschland als Zweijähriger verlassen, und ich frage mich einen kurzen Moment, ob man sich damals wohl hätte vorstellen können, dass er als Jude 60 Jahre später mit einer Handvoll Deutschen in Kanada Weihnachten feiert. Wir stoßen einfach mit Sekt an und singen ein paar deutsche Weihnachtslieder. Schade nur, dass der Kanadier mit der Gitarre in der Hand definitiv andere Melodien im Kopf hat…

Dienstag, 22.12.2009
Die erste Weihnachtsparty – die Saison geht los
Wir wissen nicht so recht, was uns erwartet und stehen pünktlich um 7.30 Uhr mit unseren drei Bierflaschen (man bringt seine Getränke selbst mit) und ein paar deutschen Lebkuchen vor dem Haus des Gastgebers. Wir sind die letzten Gäste. Die Beinah-Fast-Könnte-sein-Freundin des Gastgebers lümmelt im kurzen Kleid und mit dünnen Netzstrümpfen, dafür mit handfester Erkältung dekorativ vor dem Kamin und erzählt mit heißerer Stimme Geschichten aus „ihrer Jugend“ (sie ist Mitte 20) – z.B., wie sie in der East Hastingsstreet eines Nachts ein Taxi nehmen wollte und der Taxifahrer ihr anbot, sie für „gewisse Dienste“ zu bezahlen (was bei ihr pures Entsetzen auslöste) und wie sie als Verkäuferin mehrfach erlebte, wie der Laden ausgeraubt wurde. Jetzt arbeitet sie als Lehrerin.
Dann kommen die Schriftsteller zu Wort. Fast alle haben noch einen Nebenjob als Kellner und sie klären uns auf, warum man mindestens 15 %, besser noch 20 % Trinkgeld geben sollte: 5% des Umsatzes werden automatisch vom Trinkgeld abgezogen und an das im Hintergrund arbeitende Personal verteilt. Gibt man also gar kein Trinkgeld, legt der Kellner am Ende seiner Schicht drauf. Gibt man 5 % macht man ein „Statement“, dass man die Spielregeln kennt, die anderen bezahlt, aber mit dem Service unzufrieden ist. 10 % bedeuten 5 % für den Kellner, das ist in Ordnung aber eigentlich angesichts der mickrigen Löhne im Servicebereich sehr mager. Bei 15 % bis 20 % Trinkgeld bleiben 10 % bis 15 % für den Kellner, der einen dann auch gern wieder bedienen wird.


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